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Märchenmund | Zur Entstehung meines neuen Erzählprogrammes: „Apfelduft und Hoffnungsschimmer“
Märchen erzählt von Erzählerin Melody Reich
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Zur Entstehung meines neuen Erzählprogrammes: „Apfelduft und Hoffnungsschimmer“

Ende 2022 informierte mich eine Email des Kulturamtes der Stadt Gelsenkirchen, dass das Referat Kultur unter dem Titel „Open Spaces“ wieder Stipendien vergeben wird. In der Zeit von Januar bis März 2023 könnten sich die Stipendiat*innen eine künstlerische Auszeit nehmen, um an einem Herzensprojekt zu arbeiten, für das im alltäglichen Trubel im Leben einer Künstlerin sonst nicht genügend Zeit bliebe.

Ich dachte sofort an ein Projekt, das ich im Rahmen meiner Weiterbildung zum „Transformational Storytelling“ begonnen hatte.

Seit dem Herbst 2021 nehme ich an dieser wunderbaren Weiterbildung teil, die per Zoom stattfindet und vier Semester dauert. Anders als per Zoom könnte ich gar nicht dabei sein, da sie von Jim Brulé angeboten wird, der in den USA wohnt. Das Ganze findet natürlich auf Englisch statt. Wir sind eine Gruppe von Erzählenden aus allen Teilen der USA, aus Ungarn, Mexico und Deutschland. Jede*r hat eine wunderbar eigene Art zu erzählen. Die Geschichten, die wir erzählen sind sehr unterschiedlich. Verbindend ist, dass alle Geschichten Wandlung, Hoffnung, Heilung in der einen oder anderen Art in sich tragen.

Denn „Transformational Storytelling“ möchte die heilsamen Aspekte in frei erzählten Geschichten zur Wirkung bringen. Die Art der erzählten Geschichte ist dabei vollkommen unwichtig. Zaubermärchen, Weisheitsgeschichten, Schwänke, persönliche Geschichten oder auch Weiterentwicklungen von literarischen Texten können einen transformierenden Teil in sich tragen.

Eine Geschichte, die von der Erzählenden als heilsam oder transformierend erlebt wird, bietet den Zuhörenden die Möglichkeit, sich von den Wandlungsaspekten dieser Geschichte ansprechen zu lassen. Das freie Erzählen unterscheidet sich von der üblichen Bühnenpräsentation. Es geht darum, einen Raum des Miteinanders zu erschaffen, in dem die Geschichte ihre Wirkung entfalten kann. Noch mehr als bei einem üblichen Erzählabend setze ich auf die Kraft der Geschichte, lasse Raum für die inneren Bilder der Zuhörenden, durch den sie sich ihre eigene Version der Geschichte erlauschen und davon unter Umständen bewegt werden können – wenn sie wollen und es der richtige Zeitpunkt dafür ist. Natürlich kann auch eine Geschichte, die ich als transformierend erlebe, einfach genossen werden, wie jede gut erzählte Geschichte.

Im Rahmen der Weiterbildung habe ich erste Schritte dazu getan, Ereignisse aus meiner Lebensgeschichte in eine Form zu bringen, in der ich sie so erzählen kann, dass sie über das Persönliche hinausweisen. Außerdem habe ich Volksmärchen gesucht und gefunden, die für mich eine Verbindung zu diesen Ereignissen in sich tragen. Und ich habe angefangen, an den Märchen zu arbeiten, meine Worte für sie zu finden. Das war mein Projekt für der dritte Semester. Ende 2022 lag die Projektpräsentation hinter mir und ich hatte erste Bausteine für ein Programm. Mehr aber auch nicht. Fraglich war, wann ich daran weiterarbeiten können würde. Dann kam die Einladung, sich auf ein Stipendium zu bewerben. Ich tat dies und erhielt die Zusage! 

Nun konnte ich nicht nur Zeit erübrigen, um an dem Programm weiterzuarbeiten, sondern konnte mir außerdem noch ein regelmäßiges Coaching bei meiner Erzählkollegin und Lehrerin Maja Bumbérak aus Ungarn leisten. Maja versteht es, auf wundervolle Art und Weise mit mir herauszuarbeiten, was mir als Erzählerin an der Geschichte wichtig ist und wie ich sie völlig zu meiner eigenen machen kann. Durch ihre tiefe Kenntnis von Volksmärchen findet sie sehr schnell einen Faden, dessen Ende sie mir in die Hand gibt und der mich dann auf eigene Wege führt. Ich bin sehr dankbar für ihre Begleitung, die von unschätzbarem Wert war und ist.

Ausgangspunkt für meine Reise in die Entstehung dieses Erzählprogrammes war der Duft von gelagerten Äpfeln, der mich immer an meine Großmutter erinnert. Ich liebte meine Großmutter, sie war ein wichtiger Mensch auf meinem Lebensweg. Ihr eigener Lebensweg war von Leid und Entbehrungen gekennzeichnet, da sie eine von vielen Flüchtlingen war, die am Ende des 2. Weltkrieges ihre Heimat verlassen mussten. Doch auch Stärke und Resilienz lebte sie, indem sie sich ein neues Leben an einem neuen Ort aufbaute, ohne jedoch jemals dort heimisch zu werden. Das Gefühl von „Fremd-Sein“ und „Nicht-Dazu-Gehören“ ist eines, das ich wahrscheinlich ähnlich lebendig in mir trage, wie sie es getan hat.

In den letzten Jahren haben sich immer mehr Menschen der so genannten Kriegsenkelgeneration mit den Auswirkungen ihrer Familiengeschichte beschäftigt. Und das mache ich auch mit meinem Erzählprogramm. Es bietet allen, die am Thema Kriegsenkel und/oder Familiengeschichte interessiert sind, Raum, an eigenen Erfahrungen anzuknüpfen, sich zu erinnern oder Fragen zu stellen. Das Besondere an diesem Programm ist die Verbindung zu den Märchen aus Deutschland und Italien, die in dem Programm zu hören sein werden und die mit ihrer Weisheit und ihren tiefen Bildern die Alltagserfahrung spiegeln und erweitern.

Ab Herbst 2023 will das Programm an den Start gehen. Ich freue mich über Anfragen oder Hinweise zu Gruppen, zu denen das Thema passt oder Orte, an denen es erzählt werden kann.

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